In dieser Arbeit werden die Erklärungen zum Vers 8.60 von den anerkannten islamischen Koranexegeten Al-Tabary (839 – 923 n. Chr.), Al-Qortoby (1214 – 1273 n. Chr.) und Ibn Kathir (1301–1373 n. Chr.) zusammengefasst. Der Diskurs um eine falsche oder klassisch-korrekte Koraninterpretation der Islamisten, die angeblich nichts mit dem Islam gemein haben, soll mit einer intensiven Auseinandersetzung mit den primären (sunnitisch) islamischen Quellen zur Koranexegese substanziell unterfüttert werden
Man wird feststellen, dass die vermeidlich falschen Interpreter des Korans aus den islamistischen Terrororganisationen, wie z.B. Osama Bin Laden oder der noch lebende Al-Zawahiry, auf theologisch festem Boden stehen. Der Islam aus Sicht der islamisch anerkannten Gelehrten scheint tatsächlich das zu sein, was heutzutage gerne als militanter Islamismus bezeichnet wird. Die häufig wiederholte Aussage, dass der Terror nichts mit dem Islam zu tun habe, muss vor dem Hintergrund der Erklärung zu Vers 8.60 grundlegend neu reflektiert werden. Denn es würde zwangsläufig bedeuten, dass die Korankommentare der Exegeten Al-Tabary, Al-Qortoby und Ibn Kathir, die in allen islamischen Universitäten bis heute hoch verehrt werden und wesentlicher Bestandteil der Lehrpläne sind, nichts mit dem Islam zu tun hätten. Was wäre dann noch übrig vom (sunnitischen) Islam der sich doch aus diesen Texten herausgebildet hat? An genau diesem Spagat reißen sich die „Euro-Muslime“ alle Sehnen. Zum einen erkennen Sie diese Texte an, zum anderen versuchen sie aber glaubhaft zu machen, dass der Islam ganz anders sei als in diesen Texten dargestellt. Um glaubwürdig zu sein, müssten sich die islamischen Verbände von diesen Büchern distanzieren und eine gänzlich neue Theologie begründen. Dies fällt ihnen aber schwer, denn damit würden sie die Grundfeste der islamischen Überlieferungen verleugnen, die ja erst eine islamische Identität geschaffen haben. Damit ist das unauflösbare Dilemma perfekt, an dem sich jede Islamdebatte die Zähne ausbeißt und jeder Reformversuch scheitern muss. Die Lösung zu diesem Dilemma wäre eigentlich nur, reformationswillige Muslime würden eine gänzlich neue Religion erfinden, die dann aber auch auf den Markennamen „Islam“ verzichten müsste, denn mit den Texten die eine islamische Identität geschaffen haben (klassische Koranexegese, Hadith-Werke und Prophetenbiographien), hätte sie nichts mehr gemein.
Diese Arbeit kann natürlich nur einen sehr kleiner Beitrag zur Bewusstwerdung des Kernproblems des Islams leisten. Das wesentliche Kernproblem, so sehe ich es, liegt in der Tatsache begründet, dass der Terror nicht auf einer falschen Interpretation des Korans basiert, sondern auf einer theologisch fest fundierten Koranexegese.
Aber bilden Sie sich selbst ein Urteil nach dem Lesen dieser Zusammenfassung.
Angemerkt sei noch folgendes: Es handelt sich hier nicht um eine wörtliche Übersetzung sondern um eine Zusammenfassung. Inhaltliche Hinzufügungen sind mit „[Anmerkung des Autors: …]“ gekennzeichnet. Um wesentlichen Schlüsselbegriffen des arabischen Originaltextes gerecht zu werden, werden diese an gegebenen Stellen explizit erklärt.
Zusammenfassung der Korankommentare von Al-Tabay, Al-Qortoby und Ibn Kathir
„Und haltet für sie bereit, was ihr an Kraft und an kampfbereiten Pferden (haben) könnt, um damit den Feinden Allahs und euren Feinden Angst zu machen, sowie anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt; Allah aber kennt sie! Und was immer ihr auf Allahs Weg ausgebt, wird euch in vollem Maß zukommen, und es wird euch kein Unrecht zugefügt.“
Dieser Vers befindet sich in der Sura „Al-Anfal“ die nach heutiger Zählung die achte Sura des Korans ist. „Al-Anfal“ bedeutet „die Kriegsbeute“. In diesen kriegerischen Kontext bettet sich auch dieser Vers ein.
Al-Tabary beginnt seine Koranerklärung mit der Benennung derjenigen, gegen die es eine militärische Streitmacht vorzuhalten gilt. Dazu gehören die Ungläubigen sowie diejenigen, mit denen die Muslime ein Abkommen haben, bei denen sie sich aber fürchten hintergangen zu werden.
Im Vers wird den Muslimen befohlen eine „Kraft“ („قُوَّةٍ“) und kampfbereite Pferde vorzubereiten zur Verbreitung von Angst und Schrecken. Mit der Kraft ist nach Al-Tabary eine jede Gerätschaft gemeint, die ein Machtinstrument sein kann. Dazu wird wörtlich „السلاح“, was „Waffen“ bedeutet, als konkretes Beispiel aufgeführt.
Die Waffen müssen aufgeboten werden, um die Feinde Allahs in Angst zu versetzen. Wörtlich heißt es „تُرْهِبُونَ“ („Turhibon“) was eine äußerste Form der Schreckensverbreitung ist. Al-Tabary dekliniert das Stammwort „رهب“ („rahaba“) durch und fügt außerkoranische Textbelege an, die die Bedeutung dieses Wortes eindeutig klären. Es ist zweifellos, dass die Bedeutung auf Furcht und Schrecken zurückgeht. [Anmerkung des Autors: Im heutigen Hocharabisch führt sich das Stammwort für den Begriff „Terror“ („Irhab“) und Terrorist „Irhaby“ auf den gleichen Wortstamm zurück. Aus diesem Grunde konnte auch Abdullah Azzam, der Lehrer von Osama Bin Laden, glaubwürdig äußern, dass die Schreckensverbreitung und damit der Terrorismus ein wesentlicher Teil des Islams ist. Dies begründete er mit genau diesem Vers.]
Über drei Überlieferungsstränge führt Al-Tabary einen Bericht über Ibn Abbas ein, nach dem mit „Turhibon“ („Angst machen / Terror verbreiten“) das Wort „تخزون“ („ihr beschämt sie“) gemeint sei. Der Verwandte und Gefährte Mohammeds soll den Koran auch mit diesem Wort statt „Turhibon“ gelesen haben. [Anmerkung des Autors: So eindeutig wie man es heute gerne darstellt war der Korantext zur Entstehungszeit also noch nicht definiert bzw. man redet von unterschiedlichen anerkannten Lesarten die es allerdings nicht in den heutigen Koran geschafft haben.]
Um die Bedeutung von „Kraft“ („قُوَّةٍ“) als militärische Macht zu unterstreichen führt Al-Tabary einen Hadith, also einen Ausspruch Mohammeds, an. In diesem Hadith predigt der Prophet des Islams von der Kanzel zu den Muslimen und zitiert diesen Vers bis zur Stelle an der die „Kraft“ erwähnt wird. Er sagt also: „‘Und haltet für sie bereit, was ihr an Kraft [besitzt])‘ Wahrlich, die Kraft ist das Wurfgeschoß, wahrlich, die Kraft ist das Wurfgeschoß, wahrlich, die Kraft ist das Wurfgeschoß“ Dreimal wiederholt Mohammed, dass mit der Kraft die damals mächtigste militärische Waffe, ein Wurfgeschoss, gemeint ist. Al-Tabary belegt diesen Hadith mit sechs unterschiedliche Quellen. [Anmerkung des Autors: Dieser Hadith wird auch bei Sahih Muslim aufgeführt.]
In ganzer Klarheit wird ein weiterer Bericht über Al-Suddy angeführt, nachdem in dem Vers mit der „Kraft“ Waffen gemeint sind.
Nachdem nun die Schlüsselbegriffe „Kraft“, „Feinde“ und „Angst“ geklärt sind, arbeitet Al-Tabary die Bedeutung von den „anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt“ heraus.
Als erstes, wie so oft in seinem Exegesewerk, leitet er die Erklärung mit den Worten ein „اختلف أهل التأويل في“ („Uneinig sind die Gelehrten der Auslegung in Bezug auf…“).
Zwei Quellen besagen, es seien die Banu Qurayza, ein jüdisch-arabischer Stamm der näheren Umgebung Mekkas.
Eine Quelle besagt, es seien die Perser.
Zwei Quellen besagen, es seien die muslimischen Heuchler, die das Glaubensbekenntnis sprechen und sogar mit den Muslimen in die Schlacht ziehen.
Eine weitere Meinung ist, dass es ein Volk der unsichtbaren Geister sei („هم قوم من الجنّ“).
Nachdem nun diese unterschiedlichen Meinungen aufgelistet wurden wird ein Fazit gezogen, nachdem die richtige Interpretation nun folgende sei: „Allah befahl den Gläubigen den Jihad, das Kriegsgerät und sonstige Machtmittel zur Durchführung des Jihads gegen Allahs Feinde und die Feinde der Gläubigen von den Polytheisten vorzubereiten. Dazu gehören Waffen, Wurfgeschosse und ähnliches, sowie kampfbereite Schlachtrosse. Der Begriff „Kraft“ sei im Koran bewusst allgemein gehalten [Anmerkung des Autors: Um ihn an die zeitlichen Gegebenheiten anzupassen].“
Um die Allgemeingültigkeit der „Kraft“ als jedwedes militärische Kampfmittel zu unterstreichen diskutiert Al-Tabary den zuvor erwähnten Hadith „Wahrlich die Kraft ist das Wurfgeschoss.“ Hier sei keine Beschränkung auf Wurfgeschosse gemeint, sondern das Wurfgeschoss galt als Beispiel für eines unter mehreren Kriegsmitteln die zur damaligen Zeit verbreitet waren. Al-Tabary betont, dass der Hadith weiteres Kriegsgerät wie Speere, Schwerter und alles weitere was zum militärischen Kampf gegen die Polytheisten dient einschließt.
Die richtige Interpretation zu der Textstelle („anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt“) sei die Meinung, es handele sich um die Geistwesen. Die Banu Qurayza und Perser seinen als Feinde nämlich wohl bekannt gewesen, denn sie waren Polytheisten denen der Krieg erklärt wurde.
Mit den Worten „den Feinden Allahs und euren Feinden“ sind die Kinder Adams („بني آدم“, [Anmerkung des Autors: D.h. alle Menschen]) gemeint, deren Gegnerschaft den Gläubigen aufgrund des Unglaubens gegenüber Allah und dem Propheten Mohammed bereits bekennt ist. Die „anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt“, sind dem abschließenden Urteil von Al-Tabary nach, eine andere Gattung von Geschöpfen, also die Geistwesen, denn diese sind den Gläubigen ihrem tatsächlichen Wesen nach unbekannt und unsichtbar. Al-Tabary führt zur Untermauerung dieser These an, dass das Gewieher der Pferde die Geistwesen in Schrecken versetzten würden. Dies wird durch einen Hadith belegt. Damit nun hat Al-Tabary dann auch die Verbindung zum ersten Teil des Verses – den Schlachtrossen – geschaffen.
Al-Tabary diskutiert aber auch die Meinung, nach der die „anderen außer ihnen, die ihr nicht kennt“ die Heuchler sein könnten. Denn die Gläubigen würden diese ja auch nicht (er)kennen können. Al-Tabary bestreitet diese Meinung aber mit der Begründung, dass die Heuchler nicht durch die Schlachtrosse und militärische Macht beeindruckt werden, denn ihr eigentliches Problem ist nicht die Übermacht der Muslime, sondern lediglich, dass ihr geheimer Unglaube offen gelegt wird. Wer also nicht direkt durch die Militärmacht in Schrecken versetzt wird, der könne man in diesem Vers nicht zu den „die anderen“ zählen.
Anschließend wird der letzte Teil des Verses von Al-Tabary erläutert: „Und was immer ihr auf Allahs Weg ausgebt, wird euch in vollem Maß zukommen, und es wird euch kein Unrecht zugefügt“.
Was auch immer die Gläubigen für den Kauf von Kriegsmaschinen wie z.B. Waffen für den Jihad gegen die Feinde Allahs ausgeben, wird ihnen im Diesseits und im Jenseits zu Gute kommen, und ihr Lohn wird bei Allah groß sein, und es wird ihnen am Tage der Auferstehung zurückgezahlt. Der Versteil „und es wird euch kein Unrecht zugefügt“ soll die Gläubigen noch einmal eindringlich darin bestätigen, dass alles was sie für die Kriegsmaschinerie ausgeben nicht um sonst sein wird. Diese Auslegung bestätigt Al-Tabary dann mit der Erwähnung einer Überlieferung von Ibn Hameed über Ibn Ishaq.
Al-Qortoby fügt noch folgende Aspekte der Koranauslegung hinzu:
Al-Qortoby betont, dass Allah mit dem Befahl zur militärischen Vorbereitung die Gläubigen von den Wankelmütigen unterscheiden will und den militärischen Befehl zu einer Prüfung für den wahren Glauben benutzt.
[Anmerkung des Autors: Denn ein allmächtiger Allah könnte sich dem Problem der Existenz von Ungläubigen natürlich selbst annehmen.]
Das Konzept von „فرض كفاية“ („Fard Kifayah“, [Anmerkung des Autors: D.h. eine Pflicht die solange eine individuelle Pflicht eines jeden Moslems ist, bis genügende diese ausüben]) wird im Zusammenhang mit der Militärmacht eingeführt. Demnach ist die Vorbereitung für den Krieg und das Erlernen von Waffentechniken eine Pflicht, die solange eine individuelle Pflicht eines jeden Moslems ist, solange nicht genügend Jihadisten aufgestellt sind, die ausreichen, um die Feinde Allahs zu terrorisieren.
In einem längeren Abschnitt sinniert Al-Qortoby über bestimmte Vorzüge des Kriegers der Wurfgeschosse einsetzt anstatt zu Pferd zu reiten. Des Weiteren werden bestimmte vorteilhafte Charakteristika von Schlachtrossen beschrieben.
In Bezug auf die Feinde Allahs nennt Al-Qortoby explizit auch die Juden, den Stamm der Quraish und die Ungläubigen unter den Arabern.
Ferner bestätigt Al-Qortoby die Meinung von Al-Tabary nach der mit den „anderen“ die Geistwesen gemeint sind.
In Bezug auf den zu erwartenden Lohn für die militärische Vorbereitung erinnert er an die im Koran genannte Quantifizierung: Jede gute Tat wird zehnfach vergolten oder sogar noch um ein Siebenhundertfaches. Ibn Kathir stützt diese Aussage mit dem Vers 261 in Sura Al-Baqara („Die Kuh“, zweite Sura): „Das Gleichnis derjenigen, die ihren Besitz auf Allahs Weg ausgeben, ist das eines Saatkorns, das sieben Ähren wachsen läßt, (und) in jeder Ähre hundert Körner. Allah vervielfacht, wem Er will. Und Allah ist Allumfassend und Allwissend.“
In der Diskussion wer wohl mit den „anderen“ gemeint sei, vertritt Ibn Kathir die Meinung, dass es doch die Heuchler seien und begründet dies mit dem Vers 101 in Sura Al-Taubah („Die Reue“, neunte Sura): „Unter den Wüstenarabern in eurer Umgebung gibt es Heuchler und (auch) unter den Bewohnern von al-Madina, die in der Heuchelei geübt sind. Du kennst sie nicht, aber Wir kennen sie. Wir werden sie zweimal strafen, und hierauf werden sie einer gewaltigen Strafe zugeführt werden.“ [Anmerkung des Autors: Dieser Vers wird als Beleg angeführt, da hier in der gleichen Rhetorik von Personen die Rede ist, die die Gläubigen nicht kennen, wohl aber Allah.]
Am Schluss seiner Exegese geht Ibn Kathir noch auf einen anderen Aspekt des Spendens für Allahs Sache ein. Es heißt nämlich nach einer Überlieferung die auf Mohammed zurückgehe, dass nur für Muslime gespendet werden durfte bis der Versteil „Und was immer ihr auf Allahs Weg ausgebt, wird euch in vollem Maß zukommen“ offenbart wurde. Seit dem dürfe auch für anderen gespendet werde. Dies wird allerdings von Ibn Kathir als „fremde“ Interpretation abgelehnt. [Anmerkung des Autors: Es ist gut verständlich diese Interpretation abzulehnen, da sie den letzten Teil dieses Verses völlig aus seinem Kontext reißt.]
Autor: Barino Barsoum