Gibt es „den Islam“? (Text Version)

Zur Video Version mit noch weiteren interessanten Inhalten.

Gibt es „den Islam“?

Häufig wird Islamkritik abgewürgt, indem darauf verwiesen wird, dass es „den Islam“ ja nicht gebe und daher jede Diskussion um „den Islam“ keinen Sinn mache. Die so wichtige Debatte um den Islam wird somit geschickt vermieden. Denn wer jetzt noch von „dem Islam“ rede, der habe sich disqualifiziert, weil er ja nicht in der Lage sei die Welt differenziert zu betrachten. Gleichzeitig geht aber die Rede davon, dass Gewalt und Intoleranz nichts mit dem Islam zu tun habe. Also kann man zwar nicht von „dem Islam“ reden, wohl aber mit voller Überzeugung aussagen was er „nicht“ sei?!

Ich glaube, dass man sehr wohl von „dem Islam“ reden kann. Warum und in welchem Sinne, möchte ich kurz ausführen.
Mohammed ist nach der islamischen Legendenerzählung im Jahr 570 nach Christus geboren und 632 gestorben. Zeitzeugnisse einer Religion die sich „Islam“ nennt oder von Menschen die sich als „Muslime“ bezeichnen existieren nicht. Die ältesten Quellen, die erst eine islamische Identität geformt haben, gehen allesamt auf das 9./10. Jahrhundert zurück. Diese Quellen sind aber recht überschaubar. Es gibt den Koran, die Sunna und die Prophetenbiographie.

Koran:
Die älteste Ganzschrift wird auf das Jahr 870, die ältesten Fragmente auf nach 750 datiert.

Die Sunna (Hadithsammlungen):
1. Al-Bukhary (gest. 870)
2. Muslim (gest. 875)
3.Abu Dawud (gest. 888)
4. Tirmidhi (gest. 892)
5. Nasa’i (gest. 915)
6. Ibn Maja (gest. 886)

Prophetenbiographien:
1. Sira von Ibn Hisham (gest. 833) der angeblich auf einer nicht überlieferten Version von Ibn Ishaq (gest. 768) basiert.
2. Kitab Al-Maghaazy (Geschichte der Kriegszüge) von Al-Waqidi (gest. 822)
3. Tabaqaat („Klassen“ / „Generationen“) von Ibn Saad (gest. 845)
4. Tarikh („Annalen“) von Al-Tabary (gest. 922)

Man kann nicht oft genug betonen, dass genau diese Quellen erst eine islamische Identität geschaffen haben. Spricht man also von „dem Islam“, so handelt es sich um eine Religion, die auf diese Urquellen zurückgeführt werden muss. Das für den Islam immerwährende Dilemma ist nun, dass in genau diesen Quellen der Aufruf zur Gewalt steht. Konkret vor dem Hintergrund der Anschläge von Paris steht auch in genau diesen Quellen der Befehl denjenigen zu ermorden, der den Propheten Mohammed beleidigt.

Zudem haben sich vier Rechtsschulen entwickelt, auf die sich heute noch die Rechtsgelehrsamkeit in den (sunnitisch) islamischen Universitäten stützt. Diese Rechtsschulen werden nach ihren Begründern benannt.

1. Abu Hanifa (gest. 767)
2. Malik (gest. 795)
3. Al-Shafi’i (gest. 820)
4. Hanbal (gest. 855)

Betrachtet man die Themen der Islamdebatten, so muss man bemerken, dass all diese vier Rechtsschulen Positionen vertreten, bei denen in der heutigen Islamdebatte gesagt werden würde „das hat mit dem Islam nichts zu tun“. Insbesondere was die Todesstrafe für Apostaten und Prophetenbeleidiger betrifft, aber auch das Dogma von Liebe und Hass in Allah, das Konzept des Jihad als Angriffskrieg und die Pflicht zur Ganzkörperverschleierung der Frau.

(Siehe entsprechende Videos und Quellennachweise in den Videos aufhttp://islam-analyse.com)

Nun kommen wir noch zur Auslegung des Korans (Tafsir). In der sunnitischen Welt gibt es drei Standardwerke, die heute noch herangezogen werden, wenn Koranverse in ihrem Kontext und ihrer Bedeutung verstanden werden sollen. Sie stehen auf dem Lehrplan in allen sunnitisch-islamischen Universitäten von Marokko, Tunesien über Ägypten, Saudi Arabien bis Pakistan. Natürlich findet man auch in Deutschland in jeder Moscheebibliothek diese Werke. Leider wurden sie nur noch nicht ins Deutsche übersetzt.

1. Al-Tabary (gest. 922)
2. Qurtubi (gest. 1272) [basiert im Wesentlichen auf Al-Tabary]
3. Ibn Kathir (gest. 1373) [basiert im Wesentlichen auf Al-Tabary]

(siehe http://islam-analyse.com/in…/koran-exegese11/7-sura-47-20-21und http://islam-analyse.com/…/ko…/2-erkl%C3%A4rung-zu-vers-8-60)

Aus diesen Quellen lassen sich sehr wohl Konturen einer Religion zeichnen, die als „der Islam“ bezeichnet werden kann. In den großen Fragen die uns bewegen, sprechen diese Quellen eine deutliche Sprache und nehmen Stellungen ein, bei denen in der Islamdebatte gesagt wird „diese Stellung hätte nichts mit dem Islam zu tun“.

Das Kernproblem ist die weite Verbreitung der Einstellung: „Es kann nicht sein was nicht sein darf.“ Da es nicht sein darf, dass der Islam als eine Weltreligion Hass und Gewalt predigt, kann Hass und Gewalt, dieser Logik nach, auch nicht mit dem Islam zu tun haben. Mit den Quellen, die allerdings erst eine islamische Identität geschaffen haben, hat Hass und Gewalt aber sehr wohl zu tun.

Durch den im heutigen sunnitischen Islam gefestigten Glauben an den Koran als ungeschaffenes (!) Wort Allahs und die Sunna und Biographie des Propheten Mohammeds, der den Koran mit seiner Person für die Muslime ausgelegt hat, die Rechtsschulen und die anerkannte Koranexegese (Tafsir), liegt das rettende Ufer der Argumentation einer „Kontextabhängigkeit“ von Koranversen in unerreichbarer Ferne. Denn betrachtet man die Koranverse in ihrem „geschichtlichen“ Kontext durch die Literatur der Sunna und der Prophetenbiographie, so wird das Ausmaß der Katastrophe nur noch deutlicher, weil man erkennt, dass die Gewalt ein System hat. Vollends systematisiert wurde die Gewalt und Intoleranz durch die Rechtsschulen, auf die sich auch heute noch die sunnitischen Muslime berufen.

Die Lösung kann nur sein, die Quellen der Gewalt abzulehnen und Religion nicht auf Basis von Urquellen zu leben, sondern als persönliche Beziehung zwischen Mensch und Gott. Jeder friedliebende Moslem müsste einstimmen und diese Quellen ablehnen, die das Bild eines Gottes und eines Propheten zeichnen, das doch in Wahrheit nichts mit ihrer religiösen Vorstellung zu tun hat. Lehnen sie diese Quellen jedoch ab, bleibt nichts mehr von einer islamischen Identität übrig, denn diese wurde ja erst durch diese Quellen geschaffen. Dies ist das immerwährende Dilemma des Islams. Dieses Dilemma zeigt sich auch an der Auseinandersetzung zwischen dem Zentralrat der Muslime (ZDM) und Prof. Muhannad Khorchide aus der Universität Münster. Khorchide lehnt Urquellen des Islams ab, um auf konsistenter Art und Weise eine friedliebende Religion zu konstruieren. Der ZDM hat natürlich damit ein riesiges Problem und kann dies nicht akzeptieren, weil ihm mit den Quellen der islamische Boden unter den Füßen weggezogen wird. Aber dadurch, dass sie auf der Beibehaltung dieser Quellen bestehen, können sie nicht glaubwürdig Gewalt ablehnen und gegen Intoleranz sprechen, denn Gewalt und Intoleranz wird über diese Quellen gepredigt. Diese Unglaubwürdigkeit der „Euro-Muslime“ führt zu Misstrauen und Ängsten in der Gesellschaft, weil man das Gefühl hat, einen unaufrichtigen Gesprächspartner in der Islamdebatte zu haben. Da dieser unaufrichtige Gesprächspartner auch noch von der Politik gedeckt wird (der ZDM repräsentiert ja nichts und niemanden sondern ist ein künstliches Konstrukt, um einen Partner zu haben mit dem man Islamkonferenzen abhalten kann und der sich artig von Gewalt distanziert), schlägt angestautes Misstrauen in der Gesellschaft in Angst um. Diese Angst paralysiert entweder und führt zur Totenstarre, oder sie wird nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ zur Gegengewalt führen. Beides ist falsch und kann nur aufgehalten werden durch eine offene und ehrliche Debatte um den Islam.

Barino Barsoum